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Channel: Kunst – Kulturflaneur
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Geschichten fürs Auge

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Ein Blick aus dem Zugsfenster: Alles ist weiss. Die weiten Flächen des Wauwiler Moos sind weiss. Der Himmel darüber ist weiss. Beinahe ein Whiteout, denke ich mir, und dieser Begriff geistert mir noch den ganzen Tag durch den Kopf. Aber es ist heute nicht der einzige visuelle Reiz, der Gedankengänge auslöste…

Das Beinahe-Whiteout

Für ein richtiges Whiteout, ein Phänomen, das vor allem in den Polgebieten und im Hochgebirge auftritt und bei dem die diffuse Reflexion des Sonnenlichts die Kontraste so stark verringert, dass alles gleichmässig weiss erscheint, der Horizont verschwindet und der Boden nahtlos in den Himmel übergeht, fehlte dann doch das Sonnenlicht — der Hochnebel war zu dicht und der Himmel ein Tick zu grau. Mit ein bisschen Augenzukneifen, konnte ich ein Whiteout wenigstens simulieren…

Die visuelle Erzählerin

Geschichten fürs Auge — die Geschichte einer speziellen Schifffahrt beispielsweise — erzählt Kristin Wirthensohn mit ihren Fotokompositionen, die ein Monat lang in der Solothurner galerie9.com zu sehen sind. Heute war Vernissage dieser kleinen, aber feinen Fotogeschichten.


Kristin Wirthensohns visuelle Geschichten handeln von Bäumen, die in den Himmel wachsen, …


… von pulsierenden Hafenstädten, die in Form von Fotokompositionen auskristallisieren, …


… und von Symphonien in Grün, die durchs Gebüsch rascheln.


Als bekennendem Panorama-Fan sind mir natürlich sofort diese Wüstenpanoramen ins Auge gesprungen, die sich bei näherem Betrachten als Fotokompositionen entpuppen, die nur so tun, als wären sie Panoramen.

Kristin Wirthensohn, die visuelle Erzählerin, hat noch weitere Geschichten fürs Auge auf Lager — zu sehen in der galerie9.com in Solothurn.

Das nächtliche Puppenhaus


Geschäftshaus am Bahnhof Solothurn

Ein Geschichte fürs Auge bietet auch das neue Geschäftshaus am Bahnhof Solothurn, das nachts aussieht wie ein Puppenhaus. Beim Warten auf den Zug kam mir ein Bild in den Sinn, das ich letzthin in einer Zeitung gesehen habe und das ein Haus zeigte, das nach einem Erdbeben, Bombenangriff oder einer Gasexplosion aussah wie ein Puppenhaus. Das kann man in Solothurn jeden Abend haben: Im Zimmer unten links trinken die Leute Kaffee, im Zimmer daneben kaufen sie Outdoor-Kleidung und im Zimmer darüber ertüchtigen sie sich mit Aerobics…

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Schnorri & Schlarpi weggeblasen

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Wer schaut sie nicht immer wieder gern, die Clips von gesprengten und in sich zusammenfallenden Hochhäusern, Fabrikschloten, Brücken etc.? Das Show-Down dauert nur wenige Sekunden, wird dafür meistens mehrmals zelebriert. Dann hüllt jeweils eine gewaltige Staubwolke das Geschehen ein und zurück bleibt ein riesiger Trümmerhaufen.

So ist es auch dem Sprecherhof, dem markanten Hochhaus kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof Aarau, ergangen — es wurde in der Nacht auf Freitag gesprengt. Das Medienecho war schon im Voraus gross und entsprechend gross war auch der Aufmarsch an Schaulustigen:


75 Kilo Sprengstoff legen den 5000 Tonnen schweren Koloss aus Beton und Stahl in Schutt und Asche (Youtube-Video von webgardentv).

Der Zürcher Tagesanzeiger berichtete ausführlich über das Spreng-Spektakel. Die Zeitung brachte eine ganzseitige Vorschau und beleuchtete auf der Hintergrundseite sämtliche Aspekte der Sprengung des Rockwell-Hochhauses — von der Geschichte des Gebäudes und der damit verbundenen Firma Sprecher + Schuh über andere spektakuläre Sprengungen, die weltweit für Furore sorgten, bis zu den Details der geplanten Sprengung in Aarau.

Auf dem Hochhaus prangte lange Zeit das einprägsame Logo des Elektrounternehmens Sprecher + Schuh. Gemäss Historisches Lexikon der Schweiz verlegte die 1900 von Carl Sprecher und Hans Fretz gegründete Firma ihren Sitz 1901 nach Aarau und wurde 1902 — nach dem Firmeneintritt von Heinrich Schuh — in Sprecher + Schuh AG umbenannt. Das Aargauer Unternehmen, das von den Aargauern liebevoll „Schnorri + Schlarpi“ genannt wurde, florierte und expandierte. Anfang der 1980er Jahre geriet das börsenkotierte Unternehmen jedoch in finanzielle Schwierigkeiten. Es erfolgten mehrere Strategiewechsel und Umstrukturierungen, die schliesslich zu einer Aufteilung des Unternehmens in drei Bereiche führte, die einzeln verkauft wurden. Der Niederspannungsbereich ging an den US-Konzern Rockwell, der das Schnorri+Schlarpi-Hochhaus übernahm. Interessanterweise gibt es den Firmen- und Markennamen Sprecher + Schuh nach wie vor: Die in Houston, Texas, ansässige Firma vertreibt elektrotechnische Produkte in Australien, Neuseeland, Indien, Mexiko, Kanada und in den USA, aber nicht in Europa. Nicht ohne Stolz verkündet sie auf ihrer Homepage, dass ein Teil ihrer Produkte immer noch in Aarau hergestellt werden…

Der Tagi-Hintergrundbericht endet damit, dass der „Spreng-Künstler“ der Nation, Roman Signer, gute Sprengung wünscht. Letzlich mag die Sprengung des Schnorri+Schlarpi-Hochhauses ein toller Event für Schaulustige gewesen sein, doch bezüglich Poesie sind die Sprengungen von Roman Signer nach wie vor unübertroffen:


Kurzer Ausschnitt aus dem 1995 entstandenen filmischen Künstlerportrait Signers Koffer (Vollversion) von Peter Liechti (auf Youtube hochgeladen von lyplo)

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Ich wäre ein Neustädter

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Würde ich in Dresden leben, wäre ich ein Neustädter. Denn: In der Dresdner Neustadt gibt’s alles, was es für ein cooles Quartier und ein urbanes Leben braucht: Coole Beizen, coole Läden, coole Kulturangebote und ein lebendiges Quartierleben…

Allerdings: Sobald ein Stadtviertel so trendy wird wie Dresden-Neustadt, steigt der ökonomische Druck auf die günstigen Ladenlokale und Wohnungen. Kreative Nischen werden von lukrativeren Nutzungen verdrängt — und diejenigen, die viel zur Attraktivierung des Quartiers beigetragen haben, können es sich nicht mehr leisten, da zu leben. Noch gibt es nicht viele luxussanierte Häuser in der Neustadt, aber ich bin mir sicher: Die Gentrification hat bereits begonnen.

Vom 22. bis 24. Juni 1990 wurde die Bunte Republik Neustadt ausgerufen und mit einem grossen Stadtteilfest gefeiert. Seither feiert sich die Neustadt jeden Juni von Neuem — wenige Male von Ausschreitungen überschattet, meist aber friedlich. Die Bunte Republik Neustadt lockt jeweils über 100’000 BesucherInnen an. In den mehr als 20 Jahren hat sich die BRN allmählich entpolitisiert, dafür ist das Neustädter Stadtteilfest wahrscheinlich das einzige, das ein eigenes Museum hat: Es lebe die Bunte Republik Neustadt!

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Schweiz — Sächsische Schweiz

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Vergleichen ist oft problematisch. Wenn aber ein Schweizer Paar in der Sächsischen Schweiz Ferien macht, dann ist das fast schon ein Must. Und wer hat’s erfunden? Zwei Schweizer Maler, die 1766 an die Dresdner Kunstakademie berufen worden waren und wohl ein bisschen Heimweh hatten. Die Sächsische Schweiz ist übrigens nur eine von vielen Schweizen — allein in Deutschland gibt es die Raumbezeichnung Schweiz 67 mal.

Die Bezeichnung Schweiz ist ein sehr erfolgreiches Exportprodukt, wie die Marketingorganisation Schweiz Tourismus ermittelt hat: Weltweit gibt es mindestens 191 Schweizen ausserhalb der Schweiz — siehe Liste auf Wikipedia. In der Romantik wurde es Mode, jede auch nur ein bisschen hügelige Landschaft mit touristischem Potenzial mit dem Prädikat „Schweiz“ zu überhöhen. Schon damals spottete Theodor Fontane über die inflationäre Verschweizerung der deutschen Landschaften: „Die Schweize werden jetzt immer kleiner, und so gibt es nicht bloß mehr eine Märkische, sondern bereits auch eine Ruppiner Schweiz“ (vgl. Wikipedia zur Landschaftsbezeichnung Schweiz). Also bei uns hat dieser alte Verkaufstrick voll funktioniert: Nach der Sächsischen haben wir auch noch die Böhmische Schweiz besucht…

Die beiden Maler aus der Schweiz, Adrian Zingg und Anton Graff, waren also voll im Trend ihrer Zeit, als sie dem sächsischen Teil des Elbsandsteingebirges das Prädikat Schweiz verpassten, weil sie sich an den heimatlichen Jura erinnert fühlten. Während die Sächsische Schweiz mit den Alpen wenig gemein hat, ausser dass es da auch Felsen gibt, ist der Vergleich mit dem Tafeljura einigermassen nachvollziehbar:



Oben: Schweizer Tafeljura bei Anwil BL (Bild: Beat Schaffner)
Unten: Landschaft in der Sächsischen Schweiz bei Altendorf

Mit ihren Bildern halfen die beiden Schweizer Künstler aber auch mit, die Sächsische Schweiz zu promoten, denn wer Zinggs Bild der Felsformation Kuhstall gesehen hat, muss einfach das Original besuchen! Heute noch vermarktet der Tourismusverband Sächsische Schweiz den Malerweg, eine achttägige Wanderung, mit den Bildern bekannter Maler, die die Sächsische Schweiz gemalt haben:


Oben: Adrian Zingg, Der Kuhstall, 1786 (Bildquelle: commons.wikimedia.org)
Unten: Kulturflaneur, Der Kuhstall, 2013

Die Fremden wurden im 19. Jahrhundert buchstäblich auf Händen getragen: Wer nicht selber zum Kuhstall hochwandern wollte (weniger als eine Stunde), konnte sich vom Pferd oder von Trägern hochtragen lassen. Und auch in Sachsen keine Schweiz ohne richtigen Wasserfall: Für die TouristInnen wurde der Lichtenhainer Wasserfall erhöht und durch ein aufziehbares Stauwehr mit schwallartigem Abfluss zur Touristenattraktion aufgemotzt:


Das historische Schild aus den Anfängen des Fremdenverkehrs in der Sächsischen Schweiz mit den Taxen für Pferde und Sesselträger und der Lichtenhainer Wasserfall mit Schwallfunktion

Wenn ich aber Schweiz und Sächsische Schweiz vergleichen müsste, dann würde ich vor allem die grösseren Höhenunterschiede erwähnen: In der Sächsischen Schweiz hatten wir nach keiner der sechs oder sieben Wanderungen Muskelkater, nach der ersten kleineren Wanderung zurück in der Schweiz aber schon — auch bei einer kleinen Tour sind die Höhendifferenzen in der richtigen Schweiz schnell einmal doppelt oder dreimal so gross. Das gilt auch für freistehende Aufzüge:


Der 1904 erbaute Personenaufzug in Bad Schandau zum Ortsteil Ostrau (rund 52 m hoch) und sein grosser Bruder in der Schweiz, der 1903 bis 1905 erbaute Hammetschwandlift am Bürgenstock (153 m hoch) (Bildquelle: www.swissfot.ch)

Neben all den Unterschieden haben die beiden Schweizen vor allem eine Gemeinsamkeit: Sowohl in der Schweiz als auch in der Sächsischen Schweiz kann man wunderbar wandern.

Nachtrag am 1. August 2013
Zum heutigen Nationalfeiertag hat die NZZ eine interaktive Karte mit den Schweizen in aller Welt ins Netz gestellt — anscheinend hatten wir die Nase voll im Wind:


Um auf die interaktive Karte der NZZ zu gelangen auf obigen Screenshot klicken!
Danke für den Hinweis, lieber Trox.

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Das lange Warten auf den Blitz

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Vor einer Woche ist der Konzept- und Landart-Künstler Walter de Maria 77-jährig gestorben. Mit seinem Lightning Field in der Wüste von New Mexico machte er weltweit Furore. Das 1977 entstandene Land-Art-Werk besteht aus 400 Stahlpfählen, die in einem 1 Meile x 1 Kilometer grossen, rechteckigen Raster angeordnet sind. Schon damals beflügelte es auch meine Fantasie: Ich stellte mir vor, wie in der Gewittersaison Abend für Abend die Blitze magisch angezogen im Lightning Field einschlagen und von Pfahl zu Pfahl hüpfen — jetzt stellt sich heraus: Diese Blitze sind nur im Kopf, aber nicht nur in meinem.

Auf dem Internet suchte ich nach dem Bild, das ich über dreissig Jahre in meinem Kopf hatte, und fand immer nur die gleichen zwei, drei Blitze, die in der Umgebung einschlagen, aber keinen, der direkt in eine Stahlstange von de Maria einschlägt, was nicht weiter verwunderlich ist: Denn während Titel und Form des Werks suggerieren, dass Lightning Field ein häufiges Ziel von Blitzschlägen ist, sind sie eigentlich ziemlich selten. In A Pilgrimage to The Lightning Field schreibt Todd Gibson 2004:

(…) „Wie der Titel schon sagt, soll die Arbeit die Atmosphäre einbeziehen, indem sie Blitze vom Himmel anzieht und so einen Austausch zwischen Natur und Kultur schafft. Aber es funktioniert nicht wirklich auf diese Weise. Wenn Sie erwarten, Blitze ins Feld einschlagen zu sehen, werden Sie enttäuscht sein. Wenn ein Blitz einschlägt, ist der Pfahl so gezeichnet, dass er ersetzt werden muss, was nur alle paar Jahre mal passiert. Als ich Lightning Field besuchte, gab es keine Blitze, dennoch war es keine enttäuschende Erfahrung.“

Die Dia Art Foundation, die als Nonprofit-Organisatione das Werk betreut und den Besuch von Lightning Field streng reglementiert, verbietet das Fotografieren. Aber Walter de Maria hat seine Lightning Field-Fotos in einem Flickr-Album ins Netz gestellt: Lightning Field — Album von Walter de Maria auf Flickr

Und BesucherInnen, die im Blockhaus beim Lightning Field übernachten, machen Videos. Hier eines mit Musik:

Lightning Field from Andrew MacLachlan on Vimeo.

Auch ohne Blitze ist das formal strenge Werk von Walter de Maria voller Poesie, die nur in der Einsamkeit der Wüste von New Mexico wahrgenommen werden kann — deshalb sind nur 6 BesucherInnen pro Tag zugelassen, die eine aufwändige Anreise auf sich nehmen und beim Lightning Field übernachten müssen: „Lightning Field — a peaceful piece of art“, sagen BesucherInnen, die das Werk gesehen haben. In seinem Eintrag über das Lightning Field, den er mit drei von der Stiftung zur Verfügung gestellten Bildern illustriert, schreibt George auf seinem Blog Art Appreciation 101:

(…) „Mit nahm ich eine neue Wertschätzung für De Marias Geschick, durch die Kombination natürlicher Umgebung mit einer hochqualifizierten und phantasievollen Intervention eine besondere Erfahrung zu kreieren.“

Mit dem Wissen, dass Lightning Field in einer blitzarmen Gegend realisiert wurde, wird für mich diese Land Art auch zur Conceptual Art, zur Kunst, die im Kopf stattfindet: Mit Titel und Form seiner Arbeit fördert de Maria die Vorstellung, dass Blitze von seinem „überdimensionalen Nagelbett“ angezogen werden, und lässt so in den Köpfen Blitzbilder entstehen, die mit der blitzarmen Realität wenig zu tun haben — und deshalb auf dem Internet auch nicht zu finden sind. Da können wir noch lange auf den Blitz warten, er ist im Kopf.

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Kulturtankstelle

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Als zweites Etappenziel unserer Reise in die Südschweiz hatten wir Soglio auserkoren. Obwohl Frau Frogg das Bergell schrecklich fand und deswegen kulturlose Gedanken wälzte, machten wir eine eigentliche Kulturwanderung.
 

Unsere Wanderung war distanzmässig eher ein Spaziergang:

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Von Soglio folgten wir zuerst ein Stück der Via Panoramico, die bis auf den Malojapass führt. Wegen des Nebels sind wir aber bei der ersten Gelegenheit via Muntac und Coltura nach Stampa abgestiegen. Nach der Besichtigung des Strassendorfs nahmen wir das Postauto zurück nach Soglio (Umsteigen in Promontogno). Dauer: etwa 2 Stunden. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch

1 Panoramaweg ohne Panorama

Wie schon am Vortag verhüllte dichter Nebel das prächtige Bergeller Panorama, aber am Wegrand gab es auch sonst einiges zu entdecken…


2 Ein Giacometti in der Kirche

Kultur zum Ersten: In der reformierten Kirche San Pietro ist ein Giacometti zu besichtigen — das Gemälde „Am Morgen der Auferstehung“ in der Apsis stammt allerdings nicht vom weltberühmten Alberto Giacometti, sondern von dessen Onkel 2. Grades Augusto Giacometti (1877 – 1947), dem „Meister der Farbe“, wie es auf seinem Grabstein steht.


3 Videokunst im Zuckerbäckerpalast

Kultur zum Zweiten: In Coltura bei Stampa stiessen wir auf die Rückseite des Palazzo Castelmur, ein 1723 von Johannes Redolfi erbautes Patrizierhaus. Erst als wir um das Gebäude herumgingen, realisierten wir, dass es sich um ein Scheinschloss handelt. Um 1850 nämlich liess Baron Giovanni de Castelmur (1800-1871) talseitig eine Erweiterung mit turmbewehrter Fassade in maurischem Stil anbauen. Dieser Palazzo ist ein eindrückliches Denkmal bündnerischer Rückwandererkultur, hatte es doch die Bergeller Familie Castelmur als Zuckerbäcker und Betreiber von Konditoreien in Südfrankreich zu ansehnlichem Reichtum gebracht. Als wohlhabender Mann und mit dem Titel eines Barons kehrte Castelmur ins Bergell zurück, wo er seine Cousine heiratete. Baron und Baronin genossen als Wohltäter des Tals grosses Ansehen, ihre Ehe blieb jedoch kinderlos.



In diesem Palazzo fand die Ausstellung Video Arte Palazzo Castelmur, die, als wir in Coltura waren, leider noch nicht offen hatte.


Dieser kurze Bericht von art-tv.ch zeigt, was wir verpasst haben.

4 Kulturbefliessene Tankstelle

Weil das einzige Restaurant in Stampa ausgerechnet am Mittwoch zu hat, gingen wir bis ans Ende des Dorfs zu dieser Tankstelle, wo es einen ausgezeichneten Ristretto gab.

Kultur zum Dritten und ebenso wichtig wie der Ristretto:

In der Kaffee-Ecke des Tankstellenshops lag das Du-Heft Nr. 835 über Giacometti und das Bergell — eine schöne und empfehlenswerte Nummer der Schweizer Kultur-Zeitschrift, die im April 2013 erschienen ist und hervorragend zu unserer Reise passt. Im Bergeller Talmuseum habe ich dann dieses Du-Heft käuflich erworben.

5 Die Giacometti und Varlin in der Ciäsa Granda

Stampa Museum
Die Ciäsa Granda in Stampa, Bild: Adrian Michael auf Wikimedia Commons.

Kultur zum Vierten im „Grossen Haus“ in Stampa: Das Bergeller Talmuseum Museo Bregaglia Ciäsa Granda ist ein Allround-Museum: Es ist ethnographisches Museum, zeigt urgeschichtliche Fundstücke, thematisiert das Bergeller Handwerk, die Kastanienverarbeitung, die Auswanderung, die Zuckerbäcker und Cafetiers, stellt eine umfangreiche Mineraliensammlung sowie die Bergeller Fauna und Flora aus.

Wir interessierten uns vor allem für die grossen Künstler des Tals, die in einem eigens für sie gebauten unterirdischen Saal präsentiert werden: Rund 70 Werke von Giovanni Giacometti (1868 – 1933), seiner Söhne Alberto Giacometti (1901 – 1966) und Diego Giacometti (1902 – 1985), seines Coucousins Augusto Giacometti (1877 – 1947) sowie des Wahlbergellers Varlin (Willy Guggenheim, 1900 – 1977) sind da in einem Raum versammelt — eindrücklich, wie viele grosse Künstler das enge Tal hervorgebracht hat.

Der unterirdische Saal mit einem riesigen Bild von Varlin, „Die Leute meines Dorfes“ (272 x 777 cm), Bild: www.ciaesagranda.ch.

Fazit: Das Bergell — aus Sicht der Restschweiz ein abgelegenes Tal — ist reich an Kultur. Auch wenn wir die Bergeller Zacken nie zu Gesicht bekommen haben, hat sich schon deshalb die weite Reise gelohnt.

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Verstrickungen

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Aus meinem meistgelesenen Eintrag Kann Stricken Kunst sein? sowie den Einträgen übers Urban Knitting und über die Gehäkelte hyperbole Wunderwelt, das globale Häkelprojekt «Crochet Coral Reef» von Christine und Margaret Wertheim, ist ein Artikel mit dem Titel „Subversive Lismimanie“ *) entstanden. Erschienen ist er in der Februar-Nummer des Aargauer Kulturmagazins JULI, die sich dem Thema „Verstrickungen“ widmet, und ist hier als PDF nachzulesen.

Ich bin zwar ein bekennender Ex-Lismer *), aber kein Urban Knitter oder Guerilla-Stricker und schon gar kein Yarn Bomber. Was mich aber interessiert, ist der öffentliche Raum. Deshalb hat mich die Anfrage gefreut, fürs JULI-Magazin einen Artikel übers Urban Knitting zu schreiben, waren doch in den letzten Jahren auch in Schweizer Städten immer wieder Strick-Graffitis zu entdecken — Urban Knitting hat auch die Schweiz erreicht. Mich interessierte die Frage, was StrickerInnen dazu bewegt, Brückengeländer, Laternenpfähle, Parkbänke, Denkmäler etc. zu bestricken, und ob öffentliches Stricken und Häkeln kuschelige Stadtverschönerung oder eine subtile Strategie des weiblichen Geschlechts ist. Die Antwort ist nachzulesen in Subversive Lismimanie auf Seite 24f. des Kulturmagazins JULI.

*) Lismen ist das schweizerdeutsche Wort für Stricken.

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Gefalteter Elefant

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Seit das KKLB (Kunst und Kultur im Landessender Beromünster) einen gefalteten Elefanten in Lebensgrösse zeigt, habe ich ein Problem. Denn wenn ich bei einem Geschenk raten musste, was wohl drin sei, antwortete ich: „Dänk, än gfältelete Elifant“. Aber das geht nun nicht mehr, hat doch der Origami-Künstler Sipho Mabona aus einem 15 x 15 Meter grossen Papier tatsächlich ein Mega-Origami in Form eines Elefanten gefaltet.


„White Elephant“ von Sipho Mabona, 2014

Dieser 250 kg schwere Papierelefant besteht aus einem 15 x 15 Meter grossen Papierblatt, das Mabona in den USA anfertigen liess — in Amerika ist halt alles ein bisschen grösser, auch das Papier. Und: Ohne minutiöse Planung und ohne Hilfe lässt sich ein solches Riesen-Origami nicht herstellen, Mabona hat den Papierelefanten denn auch nicht alleine gefaltet — er hatte ein ganzes Falt-Team zur Hand, wie dieses Zeitraffer-Video zeigt:

WHITE ELEPHANT time-lapse von Mabona Origami auf Vimeo.

Origami (jap. 折り紙, von oru = falten + kami = Papier), die Kunst des Papierfaltens, wurde gemäss Wikipedia um 610 von buddhistischen Mönchen von China nach Japan gebracht. Und noch heute sind die JapanerInnen stolz auf ihre Origami-Kunst. Doch selbst im Heimatland des Papierfaltens löst Faltkünstler Sipho Mabona mit seiner Kunst Erstaunen, Bewunderung und Entzücken aus, wie dieses Portrait in einer TV-Show von Japan Allstars TV Tokyo zeigt:

Origami Artist Sipho Mabona (JAPAN ALLSTARS, TV TOKYO), hochgeladen von Mabona Origami auf Vimeo.

Fazit: Der Ausflug zum Landessender Beromünster hat sich nur schon wegen des Origami-Elefanten gelohnt. Es hat sich allerdings gezeigt, dass nicht nur ich Probleme mit dem gefalteten Elefanten habe, sondern auch das KKLB, denn momentan weiss noch niemand, wie dieser Elefant später wieder aus dem ehemaligen Senderaum des Landessenders Beromünster herauskommt — eine elefantengrosse Raumöffnung ist im KKLB nicht vorhanden.

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Voglio vedere le mie montagne

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„Ich möchte meine Berge sehen“, soll Giovanni Segantini (1858 – 1899) auf dem Sterbebett gesagt haben — nach einem nicht einfachen, allzu kurzen, aber erfüllten Leben. 1971 hat Joseph Beuys (1921 – 1986) aus diesen „famous last words“ seine erste raumfüllende Installation entwickelt, sozusagen als Hommage an Segantini. Und gestern haben wir uns den neuen Film Giovanni Segantini – Magie des Lichts angesehen: Schöne Bilder, schöne Töne, aber dennoch irgendwie unbefriedigend…

Der Trailer vermittelt einen guten Eindruck dessen, was der Film zu bieten hat: Segantinis Lebensgeschichte anhand von Texten aus Asta Scheibs biografischem Roman Das Schönste, was ich sah (dtv, 2011), gelesen von Mona Petri, Gedanken und Statements von Segantini anhand von Originalzitaten, gelesen von Bruno Ganz, zahlreiche Gemälde von Segantini, aufgenommen mit einer hochauflösenden Kamera, wunderschöne (Stadt- und Berg-)Landschaften, gefilmt von Kameramann Pio Corradi, sowie Musik von Paul Giger mit dem Carmina Quartett. Hinzu kommen historische Fotos und Familienbilder.

Filmemacher Christian Labhart, ist eine bekennender Segantini-Fan. Sorgfältig und einfühlsam montiert er Texte, Töne und Bilder zu einem filmischen Essay über Leben und Werk von Segantini und zu einer Hommage an den Magier des Lichts. Allerdings wurde das Verknüpfen der verschiedenen Bild- und Tonebenen zu einer grossen Herausforderung: „Es war eine Gratwanderung zwischen Illustration und persönlichen Zugang zum Thema. Zusammen mit der Cutterin Annette Brütsch versuchte ich, alle am Film beteiligten Künstler mit ihren eigenständigen Statements zu Segantini ernst zu nehmen – wir wurden zu Kuratoren einer filmischen Installation.“ schreibt Labhart über die Montage des Films.

Dass Segantini keinen einfachen Start ins Leben hatte und auch später nicht alles rund lief, klammert der Film nicht aus, aber Schwierigkeiten aller Art gehören nun mal zu einer Tellerwäscherkarriere, auch zu der eines genialen Künstlers — sie steigern die Leistung des Talents, das sich trotz aller Widrigkeiten entfaltet hat. Labharts Blick auf Leben und Werk ist nicht unkritisch, aber dennoch insgesamt idealisierend. Möglicherweise ist es das, was einem am Ende dieses gut gemachten, etwas meditativen Künstlerportraits ein bisschen ratlos lässt.

Segantini — so habe ich jedenfalls den Eindruck — hat nicht schneller gelebt als andere, aber intensiver:

„Ich sah Blumen weinen und Würmer lächeln.
Ich habe nicht einfach vegetiert, ich habe gelebt, ich
habe wirklich gelebt…“ (Giovanni Segantini)

Eines muss man dem Film lassen: Er animiert einem dazu, selber zu rechercherieren. Wo zum Beispiel ist Arco, Segantinis Geburtsort? Arco liegt im Trentino, am nördlichen Ende des Gardasees. Oder was wurde aus seiner Frau Bice? Bice blieb im Oberengadin und starb 1938 in St. Moritz, fast 39 Jahre nach dem Tod ihres geliebten Manns. Oder: Was passierte mit den letzten Bildern, die Segantini für die Pariser Weltausstellung von 1900 in Arbeit hatte? Wikipedia hilft: Vom obigen Gemäldezyklus „Werden — Sein — Vergehen“ war das erste fertig, am zweiten hatte Segantini gearbeitet, als er auf dem Schafberg von einer Blinddarmentzündung dahingerafft wurde, und das dritte blieb unvollendet. Ursprünglich wollte Segantini für die Pariser Weltausstellung ein Panorama des Engadins realisieren, konnte diesen Plan aber nicht finanzieren. Auch das redimensionierte Projekt blieb ein Fragment — und die drei mehr oder weniger fertigen Bilder schafften es nicht nach Paris. Sie wurden aber 1901 an der „IX. Kunstausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs“ in der Wiener Secession gezeigt. Heute bilden sie als Alpentriptychon das Kernstück der Ausstellung im Segantini-Museum in St. Moritz.

Recherchieren bringt Erinnerungen: Auf Wikipedia habe ich auch einen Hinweis auf die Installation mit dem (sprachlich fehlerhaften) Titel Voglio vedere i miei montagne*) von Joseph Beuys gefunden. Aufgrund von Bild und Beschreibung dämmerte es mir: Diese 1971 entstandene Installation, die auf Segantinis „famous last words“ Bezug nimmt, habe ich schon einmal gesehen. Die weitere Recherche ergibt: Das war 1990 oder 1991, an der Segantini-Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Und ich erinnere mich wieder: Damals fand ich Beuys‘ Hommage an Giovanni Segantini recht witzig.

Joseph Beuys: Voglio vedere i miei montagne, Installation, 1971

Joseph Beuys: Voglio vedere i miei montagne, Installation, 1971

Während Segantinis Bilder direkt zum Betrachter, zur Betrachterin sprechen, erschliesst sich das von Beuys geschaffene „Environment“ vor allem über den Kopf, denn der alte Beuys hatte sich bei diesem „Bilderrätsel“ viel gedacht. Wie viel er sich dabei gedacht haben muss, machte mir erst das Text-Portrait von Ralph Ueltzhoeffer klar: „Die Realität des gewohnt Sichtbaren eines Interieurs setzt Beuys in seinem Environment einer allegorischen Entfremdung aus, um die Teilhabe an einem verdeckt geistigen Gehalt sichtbar zu machen. Am Schnittpunkt haptischer Dingwirklichkeit, den Trägern der Aufschriften und des zu Imaginierenden, kommt dem Betrachter zunächst eine Mittlerrolle zu. Dem Umfang seiner individuellen Vorstellungskraft obliegt es, das Versöhnungswerk zwischen Theorie und Praxis zu leisten.“ Auch wenn das jetzt aus dem Zusammenhang gerissen ist, hilft der Kopf nur wenig, „denn Vernunft begreift Beuys als kontraintuitiv“, schreibt Ueltzhoeffer weiter. Auf ganzen neun Seiten handelt er sehr luzide Beuys‘ Bezüge zu Segantini ab, erklärt den verdeckten geistigen Gehalt des Environments und verortet das Werk in der Gedankenwelt von Joseph Beuys — also ich hätte nicht gedacht, dass man zu so einer Installation so viel denken kann.

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*) Das 1971 entstandene Environment „Voglio vedere i miei montagne“ von Joseph Beuys (1921 – 1986) ist seit 1973 im Besitz des Van Abbemuseums im niederländischen Eindhoven.

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Der Schrei

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Immer wenn Frau Frogg mit mir in die Ferien muss, sinkt ihre Stimmung gegen null. Der Vorferienstress schlägt ihr auf die Ohren — ganz egal, wie stressfrei ich die Ferien organisiert habe. Heuer war sie gestresst, weil sie keinen „Bündelitag“ hatte, das heisst keinen freien Tag zwischen letztem Arbeitstag und Abreise, um ihr „Bündeli“ zu packen. Deshalb war sie auch am ersten Tag nach unserer Ankunft in Orselina schlecht gelaunt. Ausserdem regnete es und wir mussten schon zum ersten, aber auch einzigen Mal ins Museum.

Nicht gerade Ferienwetter: Blick von Orselina Richtung Magadino-Ebene

Nicht gerade Ferienwetter: Blick von Orselina Richtung Magadino-Ebene

Das Wetter am ersten Ferientag ist nicht wirklich so, wie man es sich für die Ferien wünscht. Wir sind definitiv ein Tag zu früh in die Ferien gefahren! Doch wir nehmen’s gelassen und entscheiden uns für ein Schlechtwetterprogramm: zu Fuss nach Locarno, gemütliches Mittagessen und dann ein Museumsbesuch.

Schon bald Weltkulturerbe? Der Sacro Monte Madonna del Sasso

Schon bald Weltkulturerbe? Die Kirche Madonna del Sasso ist jetzt schon ein Pilgerort.

Der Sacro Monte Madonna del Sasso ist die touristische Hauptattraktion von Orselina. Jetzt soll der Wallfahrtsort auch noch Weltkulturerbe werden — jedenfalls hat der Tessiner Staatsrat am 9. Juni 2015 entschieden, beim Bundesamt für Kultur einen Antrag einzureichen, dass die beiden heiligen Berge von Brissago und Madonna del Sasso ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen werden sollen. Jetzt liegt es an Bern, diesen Antrag nach Paris weiterzuleiten. Das Tessin ist allerdings mit drei von elf Schweizer Welterbestätten schon gut vertreten.

Kreuzweg auf den Sacromonte   Kulturplakatsäule in LocarnoDer Kreuzweg auf den Sacromonte und eine Kulturplakatsäule in Locarno

Weltkulturerbe hin oder her verschieben wir die Besichtigung auf später, steigen den Treppenweg hinunter nach Locarno und genehmigen uns auf der Piazza Grande ein gemütliches Mittagessen unter einem Sonnendach, das uns vor dem strömenden Regen schützt. Auf einer Plakatsäule sehen wir ein auffälliges gelbes Plakat, das uns zum Besuch der Arp-Ausstellung in der Pinacoteca comunale Casa Rusca animiert.

Die Pinacoteca comunale Casa Rusca ist ein veritabler Palazzo mit Innenhof

Die Pinacoteca comunale Casa Rusca ist ein veritabler Palazzo mit Innenhof

In der städtischen Pinakothek besuchen wir zuerst die Räume der „Sinopia“, wo die Casa Rusca unter dem Titel „Locarno Art“ eine Reihe von Ausstellungsterminen mit aktiven Tessiner Kunstschaffenden lanciert.

Nando Snozzi (1951) aus Bellinzona, präsentiert seine "Visidivisi"

Nando Snozzi (1951) aus Bellinzona präsentiert seine „Visidivisi“

Die grossflächigen, mit kräftigen Farben gemalten Bilder von Nando Snozzi zeigen fast nur Gesichter — meist sogar nur den Ausschnitt zwischen Kinn und Stirn. Der Gesichtsausdruck wird dadurch noch intensiver. Durch die enge Hängung wirken diesen ausdrucksstarken Gesichter eindringlich, wenn nicht gar bedrohlich. Kein Wunder, musste Frau Frogg schreien…

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„La galassia di Arp“ zeigt Werke von Jean Arp und Künstlerfreunden

Der Maler, Bildhauer und Lyriker Jean Arp (1886 – 1966) ist einer der bedeutendsten Vertreter des Dadaismus und Surrealismus. Arp ist viel in der Welt herumgekommen, mal auf Reisen, mal auf der Flucht. Doch nur wenigen seiner zahlreichen Lebensstationen war er besonders verbunden — dazu gehört sicher die Region Locarno-Ascona. 1915 war er zum ersten Mal in Ascona und auf dem Monte Verità, den er danach auch mit Sophie Täuber-Arp immer wieder besuchte. Aufgrund dieser Verbundenheit wählte Arp Locarno als Wohnsitz für die letzten Jahre seines Lebens. Zusammen mit seiner zweiten Frau, Marguerite Hagenbach (1902 – 1994), kaufte er 1959 ein Haus in Locarno-Solduno. Als 1965 eine Ausstellung im Castello Visconteo von Locarno Werke Arps und anderer Künstler der Sammlung Arp-Hagenbach präsentierte, überliess Arp noch vor Ausstellungsende sämtliche Exponate der Stadt Locarno als Geschenk in der Absicht, damit den Grundstock zu einem Museum moderner Kunst anzulegen.

Eine zweite Konstante zieht sich durch Arps Leben: Dieser Künstler muss ein ausgezeichneter Networker gewesen sein. Er kannte Gott und die Welt — und viele Künstlerinnen und Künstler seiner Zeit auch persönlich. Aus seiner ständigen Bereitschaft zur Begegnung und zum Austausch mit Kollegen ergaben sich gemeinsame Projekte und Freundschaften: Arp war der Bezugspunkt für eine grosse und vielseitige Gruppe von Künstlern, die um ihn jene „Galaxie“ bildeten, die in den Räumen der Casa Rusca präsentiert wird: La galassia die Arp.

Ein Fixstern in der Galaxie von Arp war Kurt Schwitters (1887 – 1948), von dem dieses augenzwinkernde Werk stammt:

Kein Arp, sondern ein augenzwinkerndes Werk von Kurt Schwitters: "Das ist der Frühling für Hans Arp" (1930)

Kein Arp, sondern ein Werk von Kurt Schwitters: „Das ist der Frühling für Hans Arp“ (1930)

⇒ Beide Ausstellungen sind noch bis am 23. August 2015 in der Pinacoteca comunale Casa Rusca in Locarno zu sehen.
⇒ Dieser Eintrag ist auch auf stories & places verlinkt.

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Chaos & Ordnung

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„Clash“ heisst die aktuelle Ausstellung des Krienser Künstlers Thomas Muff im relativ neuen Kunstraum Hermann in Hochdorf. Wir waren an der Vernissage und liessen uns überraschen: Von der neuen „Kunsthalle“, von Thomas Muffs neuen Werken und vom feinen Risotto, das draussen im Hof serviert wurde.

In Abstrakt-konkrete Landschaften habe ich Thomas Muffs Arbeitsweise schon einmal beschrieben: Er arbeitet in Schichten. In einer ersten, abstrakten Schicht herrscht das kontrollierte Chaos — Muff trägt Farben nicht gerade Action-Painting-mässig, aber doch grosszügig und grossflächig auf. Inhalte sind noch keine zu erkennen. Für eine zweite, konkretere Schicht projiziert er Fotos und Bilder auf die erste Schicht und überträgt holzschnittartig und selektiv Inhalte auf das entstehende Werk. So kommt Ordnung ins Chaos — zugleich entsteht ein Clash zwischen abstrakter und konkreter Ebene: die wilden Farben in den Leerstellen prallen auf die dunklen, monotonen und ordnenden Strukturen der zweiten Schicht.

Thomas Muff: Le Mont-Blanc, 2013, Acryl und Öl auf Holz, 190 x 170 cm

Bei „Le Mont-Blanc“ ist es umgekehrt: Die inhaltliche Ebene — ein hochformatiger Holzschnitt von Félix Vallotton von 1892 — ist weiss und dominiert die linke Bildhälfte, wo dunkle Farben die sonst schwarzen Flächen des Holzschnitts ausfüllen. In der rechten Bildhälfte, wo die inhaltliche Ebene fehlt, stehen die mit breitem Pinsel und schwungvoller Bewegung aufgetragenen abstrakten Strukturen im Gegensatz zu den links zitierten Bergen Vallottons, und setzen sie zugleich fort, wenn auch in anderer Form. Manchmal ergänzen sich die beiden Ebenen aber auch, indem die wilden Farbflächen der Chaos-Ebene scheinbar zu Inhalten der Konkret-Ebene werden. Plötzlich werden so Pinselschlieren und gelb-braune Flächen zu Felsen und herbstlich gefärbten Wiesen im Vordergrund einer Passlandschaft.

Thomas Muff: Pass, 2015, Öl auf Holz, 190 x 190 cm

Ölberge und Wagemutige

Neu für mich waren nicht nur die Vallotton-Zitate — die Holzschnitte eignen sich für Thomas Muffs zweite Bildebene hervorragend und funktionieren wie die selektiven Bildelemente aus privaten Fotos und Bildern, sondern auch die dreidimensionalen Objekte und die letztes Jahr begonnene Serie Daredevils. Etwas biblisch sind die Berge aus Ölfarb-Resten benannt: Die Ölberge im Untergeschoss sind ein witziges und überaus farbenfrohes Nebenprodukt von Muffs Ölmalerei. Mit den Bergen verbunden sind auch die allermeisten Daredevils, Wagemutige, die den Teufel herausfordern. Dabei handelt es sich meist um berühmte Bergsteiger, wie Anderl Heckmair, Wanda Rutkievicz oder Edmund Hillary, oder um Entdecker, wie Vasco da Gama, der den südlichen Seeweg nach Indien fand. Zu erkennen sind sie auf den Beinahe-Portraits allerdings kaum — Thomas Muff malt diese Wagemutigen nämlich ebenfalls in zwei Schichten: Zuerst die Chaos-Schicht und dann das Portrait, das heisst: Muff übermalt alles, was nicht zur abgebildeten Person gehört, in einheitlichen Farbtönen. Zu sehen ist schliesslich meist nur der Umriss des/der Wagemutigen, nur in wenigen Bildern auch weitere Details des Gesichts. Innerhalb der Konturen des Daredevils verbleibt Thomas Muffs Wagemut der ersten Schicht…

Unwahrscheinlich, dass Thomas Muff genau dieses Portrait des Everest-Bezwingers als Vorlage für sein Daredevil gewählt hat, dennoch finde ich, dass die beiden sich ähneln und etwas Wagemutiges im Gesicht haben: Edmund Hillary, 2014, Öl auf Holz, 65 x 50 cm

„Clash“, die absolut sehenswerte Einzelausstellung von Thomas Muff, widerspiegelt sehr schön die Entwicklung des Künstlers in den letzten zwei, drei Jahren. Zu sehen ist sie noch bis am Freitag, 23. Oktober 2015, im Kunstraum Hermann in Hochdorf. Dieser vom Holzskulpturen-Künstler Alois Hermann initiierte Kulturraum versprüht viel Charme und ist an sich schon eine Reise wert. Nächsten Sonntag, am 27. September, gibt’s übrigens um 11 Uhr eine Führung durch die Ausstellung im Beisein des Künstlers. Ob wieder so ein feines Risotto serviert wird, wie an der Eröffnung, weiss ich nicht.

⇒ Die Werk-Abbildungen im Text stammen von Thomas Muffs Homepage
⇒ Der Kunstraum Hermann auf stories & places

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Dem See entlang schlängeln

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Der goldene Herbst führte uns letzte Woche an den Lungernsee, einen Naturstausee im Kanton Obwalden. Die Wanderung von Giswil nach Lungern ist eher kurz, aber abwechslungsreich. Und wie die Bilder zeigen, gab es unterwegs doch einiges zu sehen.

Die Route

Wanderung auf der Via Jacobi von Giswil nach Lungern

Startpunkt unserer Wanderung ist Giswil (1), das mit der Zentralbahn von Luzern aus bequem zu erreichen ist. Der Wanderweg folgt der Giswiler Aa bis in den Talgrund. Dann steigt er ca. 200 Höhenmeter auf eine Geländestufe mit dem Namen Kaiserstuhl (2). Hinter diesem Riegel öffnet sich das Tal für den Lungernsee (3). Während die viel befahrene Brünigstrasse auf der Ostseite des Sees verläuft, schlängelt sich der Wanderweg dem westlichen Ufer (4) entlang. Am Ende des Sees sind die Dundelbachfälle (5) – die beiden Wasserfälle sind sicher nicht die spektakulärsten der Schweiz, aber durchaus sehenswert. Der untere Wasserfall ist in einem Abstecher von nur drei Minuten von der Hauptroute zu erreichen. Lungern (6) schliesslich ist das letzte Dorf im Obwaldner Tal. Der Bahnhof der Zentralbahn liegt oberhalb des Dorfs, denn ab hier überwindet die Zentralbahn eine weitere Geländestufe Richtung Brünig mittels Zahnrad. Doch für uns endet hier die Wanderung.

Der Talgrund (1)

Unterhalb des Schuttfächers ist die Laui kanalisiert. Im Hintergrund links geht’s Richtung Brünig.

Die Kirche von Giswil thront mitten in der Talebene auf einem Hügel.

Die liebliche, sattgrüne Weite des Obwaldner Tals mit dem Alpnachersee und dem Sarnersee endet hinter Giswil relativ abrupt. Abgesehen von der Kirche, die auf einem Hügel mitten im Tal steht, und dem Laui-Schuttfächer, der von Westen ins Tal drängt, ist der Talgrund von Giswil ist topfeben. Während die Umfahrungsstrasse schon in Giswil-Nord in einem Tunnel verschwindet, der Richtung Brünig ansteigt, und die Bahn unmittelbar hinter dem Bahnhof die Geländestufe zum Kaiserstuhl mittels Zahnrad in Angriff nimmt, bleibt der Wanderweg bis hinten im Tal in der Ebene, um dann rasch anzusteigen und zuerst die Strasse zu unter- und dann die Bahn zu überqueren.

Der Blick zurück über das Aaried nach Giswil. Links hinter der orangen Stange der Laui-Schuttfächer.

Die Geländestufe (2)

Im Anstieg auf den Kaiserstuhl wird Frau Frogg von einem ADLER der Zentralbahn überholt.

Herbstlaub im Aufstieg auf den Kaiserstuhl

Auf der 78 km langen Schmalspur-Strecke von Luzern über den Brünig nach Meiringen und Interlaken überwindet die Zentralbahn Steigungen von über 10%. Die Zentralbahn, die 2005 aus dem Zusammenschluss der SBB Brünigbahn und der Luzern-Stans-Engelberg-Bahn entstanden ist, vermarktet mit der BLS und der Montreux-Berner Oberland-Bahn (MOB) die GoldenPassLinie, eine Touristenbahn von Luzern nach Montreux via Interlaken. Die 189 km lange Reise vom Vierwaldstättersee an den Lac Léman dauert fast fünf Stunden und hat einen grossen Haken: Da der mittlere Abschnitt zwischen Interlaken und Zweisimmen Normalspur ist, muss man zweimal umsteigen…

Der Kulturflaneur auf der Betonbrücke über die Brünigbahn fotografiert schneller als sein Schatten.

Deshalb träumten Bahntouristiker lange von einem dritten Gleis zwischen Interlaken und Zweisimmen, so dass die Meterspurzüge auch auf dem 53 km langen Normalspurabschnitt hätten verkehren können. 2006 platzte dieser Traum aus Geldmangel. Stattdessen werden jetzt in Zweisimmen Spurwechselanlagen gebaut, die es ermöglichen, das Rollmaterial umzuspuren — von 1435 auf 1000 mm Spurbreite und umgekehrt. Dank eigens entwickelten Drehgestellen werden bald spurwechselfähige Züge zwischen Montreux und Interlaken verkehren können. Bis auch in Interlaken Umspuranlagen gebaut werden, fahren ADLER von Stadler über den Brünig: ADLER (= Alpiner, dynamischer, leiser, edler Reisezug) heissen die neuen siebenteiligen Zahnradtriebzüge der Zentralbahn.

Föhnlinse über Mittelhorn (3704 m) und Wetterhorn (3692 m) im Berner Oberland

Das letzte noch fehlende Teilstück der A8

Nach etwa eineinhalb Stunden erreichen wir Kaiserstuhl (OW), einen Weiler der Gemeinde Lungern. Die Lage am unteren Ende des Lungernsees ist idyllisch und es ist gerade noch warm genug, um draussen auf der Terrasse des Hotel & Restaurant Kaiserstuhl (ein Betrieb von Sinnvoll Gastro) das Mittagsmenu zu geniessen. Hier treffen Wanderinnen auf Ausflügler, Handwerker auf Durchreisende, Familien auf Töfffahrerinnen. Allerdings der Lärm von der Strasse ist beträchtlich: Im Gegensatz zu Giswil oder Lungern leidet Kaiserstuhl unter dem Durchgangsverkehr auf der Brünigstrasse, denn von Giswil-Süd bis Lungern-Nord wird der gesamte Verkehr auf der A8 (ca. 10’000 Fahrzeuge pro Tag) über die Kantonsstrasse geführt — das fehlende Teilstück der A8 ist 3600 Meter lang, kostet 268 Millionen und ist das letzte noch fehlende A8-Strassenstück in Obwalden. Obwohl ich ein Mittagessen mit weniger Verkehrslärm gut gefunden hätte, bin ich mir nicht sicher, ob der Kaiserstuhl-Tunnel eine gute Sache ist.

Der Stöpsel (3)

Der Mönch im Lungernsee – in der Teichwirtschaft wird das regulierbare Ablaufbauwerk Mönch genannt, wobei Teichwirtschaft im Fall des Lungernsees eine glatte Untertreibung ist.

Haus mit Holzmaske in Kaiserstuhl

Der gigantische Stöpsel (Mönch ist der Fachausdruck) im Lungernsee gehört zum Kraftwerk Unteraa der Elektrizitätswerke Obwalden (EWO) und dient der Regulierung des Seespiegels. Der Lungernsee ist ein Naturstausee, d.h. hinter dem Felsriegel von Kaiserstuhl war schon immer ein See, nur die Höhe des Seespiegels ist seit etwa 1700 ein Politikum. Damals hatten die Lungerer die Idee, mit einem Stollen das Wasser aus dem See abzulassen und so Land für Kartoffeläcker zu gewinnen. Das Dorf war gespalten in die Ablehner und Befürworter der Absenkung, die „Nassen“ und die „Trockenen“. Es dauerte von 1790 bis 1836, bis nach mühevoller Arbeit ein 420 Meter langer Stollen fertiggestellt war und 170 ha Land gewonnen werden konnte (vgl. Wikipedia über den Lungernsee). Doch die Freude der „Trockenen“ dauerte nur 85 Jahre, denn 1921 wurde der See für die Stromproduktion wieder aufgestaut. Im Winter ist seither der Wasserpegel massiv tiefer als im Sommer und es zeigen sich unschöne „Stauseeränder“. Obwohl mit einem immer vollen Stausee mehr Strom produziert werden könnte, wehren sich die EWO gegen eine Veränderung der Lungererseebewirtschaftung, weil im Winter „dreckiger“ Atom- und Kohlestrom zugekauft werden müsste und die Verlagerung der Stromproduktion vom Winter in den Sommer unter dem Strich mehr kostet. Der Seespiegel des Lungernsees ist nach wie vor ein Politikum.


Trailer von „Härdepfel im See — Wie die Lungerer ihren See vertrieben“ (Doku-Spielfilm, 2011, 80 Min., Schweizerdeutsch) von Riodi und Luke Gasser — www.lukegasser.ch

Altes Holzhaus an der Strasse nach Bürglen, einem Weiler von Lungern

Der See (4)

Der Lungernsee — im Sommer ein Postkartenidyll (Blick Richtung Süden mit Wetterhorn im Hintergrund)

Tote Schlange am Wegrand

Dass der Lungernsee nicht immer ein Postkartenidyll ist, zeigt die andauernde Diskussion über die hässlichen Stauseeränder im Winter, aber auch die Geschichte der zwei Leichen, die im Winter 1999 gefunden wurden. Sie waren in Fässer einbetoniert im See versenkt worden. Was der Mörder und seine Gehilfen aber nicht wussten, ist, dass der Seespiegel im Winter massiv abgesenkt wird. So kamen die mafiamässig entsorgten Leichen schneller wieder zum Vorschein als die Täter gedacht hatten. Nachdem die Identität der Fassleichen geklärt war, konnte man auch den Täter und seine Komplizen ausfindig machen und verurteilen. Die Morde, die in Fribourg begangen wurden, hatten aber keinen Bezug zur Mafia, wie ursprünglich vermutet worden war (vgl. NZZ-Online-Artikel vom 16.10.2001).

Der Lungerensee — im Winter eher unansehnlich (Blick Richtung Norden mit Pilatus im Hintergrund)
Wikimedia Commons

Der Wasserfall (5)

Lungern auf der gegenüberliegenden Seeseite

Der untere Dundelbachfall

Bevor wir das südliche Ende des Lungernsees erreichen, sehen wir am gegenüberliegenden Ufer das Dorf Lungern. Am Ende des Sees ist es dann nur ein dreiminütiger Abstecher zum unteren Dundelbachfall, der mitten im Wald eine Felswand runterfällt. Gemäss waterfall.ch beträgt die Fallhöhe 57 Meter, beim oberen Dundelbachfall sind es gar 77 Meter. Obwalden Tourismus handelt die Dundelbachfälle als Geheimtipp — für mich sind es nicht die spektakulärsten Wasserfälle, die ich je gesehen habe, aber der kurze Abstecher hat sich alleweil gelohnt.

Das Dorf (6)

Lungern ist bekannt für seine Bildhauerkunst. In den 1920er Jahren wurde der an der Kunstakademie Rom ausgebildete Holzbildhauer Beat Gasser zum Begründer der Lungerer Schule, deren junge Bildhauer sich später als Künstler selbstständig machten. Ihr Schaffen umfasste vorwiegend sakrale Kunst.

Sogar die Wasserrutsche in der Lungerer Badi ist eine Skulptur.

Es ist ja nicht so, dass Lungern am Arsch der Welt ist, wie der Mundartrocksong im nachfolgenden Youtube-Video suggerieren will. Die 2000-Einwohnergemeinde hat neben einem idyllischen Naturstausee, Wasserfällen, zwei Fassleichen, der Bildhauerkunst und einer wechselhaften Geschichte noch mehr zu bieten:

  • eine Kirche, die 1887 vom hochgehenden Eibach mitgerissen (nur der Kirchturm blieb stehen) und 1893 durch eine neu erbaute Kirche im neogotischen Stil ersetzt wurde,
  • eine Seilbahn ins Ausflugsgebiet Lungern-Schönbühl (mit einer sensationellen Höhenwanderung aufs Brienzer Rothorn), die von 2013 bis 2016 stillgelegt und saniert werden musste und seit der Eröffnung 1961 nun schon den vierten Betreiber hat, und
  • eine weltweit einzigartige Indoor-Schiessanlage Brünig-Indoor, die jährlich über 30’000 BesucherInnen anzieht — nicht, dass ich Schiessanlagen toll finde, aber Schiessen in der Felskaverne ist eine kreative Problemlösung für die sanierungsbedürftigen Obwaldner Schiessstände und reduziert den Schiesslärm.

Lungern Song — Mundartrocksong von unbekannter Band, 2012 auf Youtube hochgeladen von paeddiomlin

Der Lungern Song stammt höchstwahrscheinlich nicht von einer Lokalband, ist doch der Bündner Dialekt des Sängers gut hörbar und rückt der Songtext Lungern und die Lungerer nicht ins beste Licht. Während die Gitarrensoli bestechend gut sind, vermögen die bitterbösen Lyrics nicht immer zu überzeugen, legen aber erstaunlich viel Lokalkenntnis an den Tag, auch wenn es das besungene Café Bijou inzwischen nicht mehr gibt. Lungern ist weltoffener und innovativer als der Song behauptet, aber auch ein bisschen querköpfig, stur und eigen.

⇒ Der Mönch im Lungernsee auf stories & places

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Digitale Collagen

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Vorgestern war im Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich Vernissage: Monika Obermayr zeigt „Buster Keaton / Len Lye — Digitale Collagen“, die sie aus Buster Keatons Stummfilm „Balloonatic“ von 1923 und aus Len Lyes farbigem Experimentalfilm „A Colourbox“ von 1935 zusammenfügt. Buster Keatons Schwarzweissbilder bekommen in der Kombination eine expressive Farbigkeit.

Ausgangspunkt für Monika Obermayrs „Buster Keaton / Len Lye — Digitale Collagen“ ist ein Forschungsseminar von Margrit Tröhler an der Universität Zürich im Herbstsemester 2015: Unter dem Titel „Stummfilm-Burleske: Körpersprache und kinematische Präsenz“ beschäftigten sich die SeminarteilnehmerInnen mit genderspezifischer Körperlichkeit, Bewegung und burlesker Akrobatik im Stummfilm. Anhand des Buster-Keaton-Films „Balloonatic“ führte die Zürcher Künstlerin ihre Forschungsarbeit auf einer künstlerischen Ebene weiter.

Buster Keatons „Balloonatic“ (USA 1923) diente als Ausgangsmaterial für die digitalen Collagen von Monika Obermayr.

Buster Keaton (1895 – 1966) — der Mann, der niemals lachte — ist mit seiner steinernen Miene ein Ikone des Stummfilms. Sein blasses, schmallippiges Gesicht ist deshalb auch eine ideales Bildzitat. Sein Film „Balloonatic“ ist aber noch aus einem anderen Grund eine interessante Bildquelle für die Künstlerin Monika Obermayr, die sich bildnerisch mit dem Verhältnis Mann – Frau, Männerrolle – Frauenrolle auseinandersetzt: Keatons Filmpartnerin Phyllis Haver spielt – im Gegensatz zu anderen Stummfilmen – nicht nur die Angebetete, sondern eine aktive, eigenständige Rolle.

Die expressive Farbe in Obermayr Collagen stammt aus einer anderen filmischen Bildquelle: Len Lye (1901 – 1980) war ein neuseeländischer Künstler und Pionier des Farbfilms.

Highlight-Mix aus Len Lyes Experimentalfilmen „Kaleidoscope“, „A Colour Box“ und „Colour Flight“ (UK 1935-37) auf Youtube — „A Colourbox“ (UK 1935) lieferte die Farbe für die digitalen Collagen von Monika Obermayr.

Ein Blick auf die Homepage von Monika Obermayr zeigt, dass die im filmwissenschaftlichen Seminar ausgestellten „Digitalen Collagen“ eine konsequente Fortsetzung ihrer künstlerischen Arbeit sind: Waren frühere Arbeiten noch geometrisch streng verwobene Collagen, sind in den aktuellen Werken die Übergänge zwischen den verarbeiteten Bildelementen fliessender, freier, lockerer… Und die Spannung zwischen dem Schwarzweiss aus dem kontrastreichen Buster-Keaton-Film und der expressiven Farbe aus dem Experimentalfilm von Len Lye bringt einen zusätzlichen Reiz in die Collagen von Obermayr. Die serielle Hängung der oft quadratischen Digitalprints, die auf Aluplatten aufgezogen sind, passt gut zum filmischen Charakter des verwendeten Bildmaterials und zum Ort der Ausstellung. Buster Keaton / Len Lye — Digitale Collagen von Monika Obermayr — eine kleine, aber feine und sehr sehenswerte Ausstellung in den Gängen des Seminars für Filmwissenschaft in Zürich-Oerlikon.

⇒ Die Ausstellung von Monika Obermayr Buster Keaton / Len Lye — Digitale Collagen (Begleitblatt als PDF) dauert noch bis 30. März 2018 und ist Montag bis Freitag, von 10 bis 17 Uhr öffentlich zugänglich.
⇒ Das Seminar für Filmwissenschaft befindet sich im 2. Stock an der Affolternstrasse 56 in 8050 Zürich (200 m vom Bahnhof Oerlikon)
⇒ Das Seminar für Filmwissenschaft auf stories & places.

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Kunst auf dem Flugplatz

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Am 12. Mai war im Skulpturenpark Ennetbürgen „Vernissage“: Von den 50 Skulpturen, die auf dem Flugplatz Buochs jederzeit besichtigt werden können, sind vier neu hinzugekommen. Nur noch zwei Tage zu besichtigen ist die Zeichnungs- und Malperformance «startenlandenstarten» von Christine Bänninger und Peti Wiskemann.

Zwölf Jahre gibt es den Skulpturenpark Ennetbürgen schon und jedes Jahr kommen einige Werke hinzu, während andere verschwinden. Von den aktuell 50 Skulpturen des Parks sind 25 Werke oben abgebildet. Einen guten Eindruck vermittelt auch der Video-Rundgang von art-tv, der 2016 zum zehnjährigen Jubiläum entstanden ist:

«Zum Einen – zum Ändern» von Heini Gut

Doch viele der ausgestellten Skulpturen entfalten ihre volle Wirkung erst im Austausch mit der Umgebung, wie z.B. die Buchstabenarbeit von Heini Gut, die wie ein künstlerischer Kommentar zur Bauerei im Hintergrund wirkt. Das Vorher-Bild (rechts) stammt der Homepage des Skulpturenparks und ist vermutlich 2014 entstanden. Entfernt erinnert dieses Werk an den berühmten Hollywood-Schriftzug, doch im Gegensatz dazu hat diese Arbeit eine andere Seite: „ZUM EINEN“ steht da in grossen Lettern vor dem unveränderlichen Stanserhorn.

50 Skulpturen

Die 50 Skulpturen unterscheiden sich in der Grösse und Art und Weise, wie sie in die Umgebung eingebettet sind:

«Cloud» von Josua Wechsler (2016)
«untitled, chewed// 16» von Markus Schwander (2006/2010)

Die einen sind gross, raumgreifend und von weitem sichtbar, wie die Skulptur von Josua Wechsler, die zu den Wolken am Himmel eine weitere «Cloud» hinzufügt.

Andere wiederum sind klein und unscheinbar, haben aber ihren eigenen Charme und Witz, wie das Werk «unter Tage» von Roland Herzog, das aus sieben bronzenen Maulwurfshügel besteht, die hier nicht abgebildet sind. Sehr gut in Umgebung eingebettet ist auch der „Beton-Kaugummi“ von Markus Schwander, der sich von den Steinen am Bach kaum unterscheidet.

Dieses Jahr neu

«Schweife» von Rochus Lussi (2017)
«Relief I» von Otto Müller (1953)
«Tende» von Henri Spaeti (2018)
«Schiff» von Andi Rieser (2006-2018)

Nicht neu, aber zum vierten Mal neu bestückt ist Rochus Lussis Mini-Kunsthalle. 2015 besetzte ein Wolf die ausrangierte Telefonkabine. Jetzt sind es «Schweife» aus Lindenholz, die Lussi zu einem Kuhschwänze-Reigen arrangiert hat — ein „surreales Monument zwischen Bodenhaftung und Kometenfahne“, wie Urs Sibler im Booklet zur aktuellen Ausstellung schreibt.

Recht alt, aber neu ausgestellt ist das Bronze-Relief von Otto Müller (1905-1993), eines der bedeutendsten Bildhauer der Schweiz im 20. Jahrhundert. Das 1953 entstandene Werk ist eine Leihgabe der Stiftung Trudi Demut und Otto Müller und zeigt eine aufs Wesentliche reduzierte Kuh.

Neu, aber recht vergänglich, ist die begehbare Kunstinstallation «Tende» des Luzerner Künstlers Henri Spaeti, die mit den aufgespannten Planen und dem Sägemehl am Boden den nomadischen Charakter eines Wanderzirkus hat. Mit ihren geometrischen Ornamenten und seriellen Bildern erinnert sie an eine Kultstätte.

Ebenfalls vergänglich ist Andi Riesers Ruderboot aus Holz, das auf dem Steinhuserberg allmählich verrottet. Neu hingegen ist sein 6 m langes «Schiff», das er mit Epoxyharz vom Original abgeformt hat. Das Schiff am Scheidgraben wird zwar nie schwimmen, leuchtet dafür aber geheimnisvoll in der Dämmerung und in der Nacht, weil es mit Nachtleuchtfarbe gestrichen ist.

startenlandenstarten

«Objekt Nr. 397» von Carlo Borer (2007)
Die Kunstpostkarte von Christine Bänninger und Peti Wiskemann ist im Kreuz Solothurn angekommen.

Immer wieder neu, aber noch vergänglicher ist die Kunstperformance «startenlandenstarten» von Christine Bänninger und Peti Wiskemann, die am 8. und 9. Juni 2018 noch einmal zu erleben ist. Von 10 bis 17 Uhr zeichnet und malt das Zürcher Künstlerpaar Dutzende von Postkarten, die Skulpturen aus der Ausstellung zeigen. Von dieser Kunstaktion bleiben letztlich nur die live entstandenen Postkarten, die von den BesucherInnen der Ausstellung geschrieben und vom Künstlerpaar in alle Welt verschickt werden. So ist die Skulptur des Solothurner Künstlers Carlo Borer als Postkarte von Ennetbürgen wieder nach Solothurn ins Restaurant Kreuz gelangt.

Fazit

Der Skulpurenpark Ennetbürgen, auf und vor allem neben dem Flugplatz Buochs gelegen, ist ein lohnenswerter Kunstausflug in die Zentralschweiz. Nicht alle Skulpturen begeistern gleichermassen, aber viele regen zum Nachdenken an und manche sind charmant und witzig. Besonders charmant, aber nur noch an zwei Tagen zu erleben ist die Kunstperformance «startenlandenstarten».

⇒ Homepage zum Skulpturenpark Ennetbürgen
⇒ Anreise mit öV oder Auto: www.skulpturenpark-ennetbuergen.ch/standort/
⇒ Das erwähnte Booklet zur Ausstellung mit aquarellierten Illustrationen von Lorenz Rieser gibt’s bei der Infotafel beim Restaurant Nidair, siehe Google Maps
⇒ «startenlandenstarten» auf Bänninger+Wiskemann — dank der auffälligen orangen Kleidung ist das Künstlerpaar auf dem Parkgelände von weitem zu sehen…

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Rationale vs. emotionale Kunst

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Gegensätzlicher könnten sie nicht sein, die rational ausgetüftelten Kunstaktionen von Roman Signer, der vor kurzem 80 wurde, und die emotionalen Körperbilder der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig (1919-2014). Die Kombination der beiden Ausstellungen im Kunstmuseum St. Gallen hat in ihrer Gegensätzlichkeit einen ganz besonderen Reiz.

Sowohl Roman Signer als Maria Lassnig sind mir als KünstlerInnen schon seit Jahren ein Begriff: Peter Liechtis einfühlsames Künstlerportrait Signers Koffer (Dok, 1995, 84 min., OF, Untertitel in diversen Sprachen) habe ich als schon lange als DVD zu Hause, die ich mir immer wieder mal ansehe, denn: Gefilmt wirken Signers Aktionen immer noch am besten. Obwohl er vehement bestreitet, ein Lausbub (NZZ vom 19.5.2018) geblieben zu sein, huscht nach einer gelungenen Aktion ein zufriedenes, schalkhaftes Lächeln über sein Gesicht. Ebenfalls seit Jahren steht ein 1997 erschienener Katalog, Maria Lassnig — Be-Ziehungen und Malflüsse, in unserem Büchergestell. Wann und wo ich die zugehörige Lassnig-Ausstellung gesehen habe, weiss ich nicht mehr, aber die expressive Farbigkeit und Körperlichkeit ihrer Bilder haben sich mir eingeprägt. Als wir Anfang Juni in St. Gallen waren, haben wir uns deshalb die beiden Ausstellungen Spuren von Roman Signer und Be-Ziehungen von Maria Lassnig angesehen.

Dreiphasenkunst

Früher als „Spreng-Künstler der Nation“ belächelt (vgl. Schnorri + Schlarpi weggeblasen), ist Signer heute ein weltweit anerkannter und gefragter Künstler. Seine Kunst ist inzwischen weniger knallig, aber mindestens so poetisch wie früher:


Der Beitrag von 10vor10 über Roman Signer und seine Kunst erklärt, warum Signer als Künstler so beliebt ist, zeigt seine wohl bekanntesten Aktionen und wie das blaue Fass ins Feld rollt, beantwortet aber auch die Frage, ob Signer tatsächlich x-mal mit dem Velo um die beiden Säulen fährt.

In 10vor10 sagt Roman Signer zum Sinn seiner Kunst: „Die Menschen wieder sensibel machen, dass sie so etwas überhaupt betrachten können, und sensibel werden für die kleinen Gegebenheiten, das ist der Sinn.“ Und so produziert Signer weiterhin Kopfkino: Das was passieren könnte oder bereits passiert ist, soll sich im Kopf des Betrachters, der Betrachterin noch einmal abspielen. Der Tagesanzeiger vom 29.5.2018 bezeichnet dies als Dreiphasenkunst und schreibt, es gebe bei Signers Kunst immer ein Vorher, ein Nachher und ein Dazwischen. Einige Werke, die in Spuren zu sehen sind, zeigen das Nachher, aber 50 Skizzen, Studien und Projekte an den Wänden zeigen das Vorher — also Werke vor ihrer Realisierung. Ein Spezialfall ist die Installation «Stehende Holzbalken», die zwar fertig aufgestellt ist, aber das Potenzial hat, dass jederzeit etwas passieren kann. Das Dazwischen ist repräsentiert durch sechs digitalisierte Super-8-Filme, die in Endlosschlaufen sechs Kunstaktionen zeigen, die Signer 1982 im Kunstmuseum St. Gallen realisiert hat. Hoffentlich produziert Roman Signer noch viel poetisches Kopfkino, das zum heiteren Nachdenken anregt!

Visualisierung der eigenen Körperwahrnehmung

Ganz anders, aber ebenfalls zum Nachdenken anregen Maria Lassnigs Bilder in der Ausstellung Be-Ziehungen: Sie zeigen über fünfzig Jahre Entwicklung dieser österreichischen Künstlerin, die sich immer wieder neu erfunden hat und dennoch die roten Fäden in ihrem Schaffen nie aus den Händen gegeben hat:


Der Beitrag von arttv.ch über die Ausstellung «Be-Ziehungen» im Kunstmuseum St. Gallen vermittelt einen guten Eindruck von den ausgestellten Werken und zeigt die Bedeutung von Maria Lassnig (1919-2014) für die Gegenwartskunst des 20. Jahrhunderts auf.

Mit ihren „Body Aware Paintings“, ihren Körpergefühlsbildern, habe sie grossen Einfluss gehabt, auch auf eine jüngere Generation, sagt Direktor und Kurator Roland Wäspe, sie sei ein Monument, an dem man sich als Künstler abarbeite. Seit ihrem Aufenthalt in New York (1968-1980) habe sie auch grosse Bedeutung für die feministische Kunstszene. Anyway, Maria Lassnig hat mit ihrer körperbezogenen Malerei hat die Gegenwartskunst des 20. Jahrhunderts geprägt wie keine andere. Und wenn das St. Galler Kunstmuseum auch nur einen kleinen Ausschnitt aus dem umfangreichen Werk Lassnigs präsentieren kann, habe ich doch einen guten Einblick ins Leben und Schaffen dieser herausragenden Künstlerin erhalten.

Fazit

Den Besuch der beiden Ausstellungen Spuren von Roman Signer und Be-Ziehungen von Maria Lassnig kann ich nur empfehlen. Ihre Gegensätzlichkeit in der Herangehensweise — rationale vs. emotionale Kunst — verleiht der Kombination der beiden Ausstellungen einen besonderen Reiz.

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Gemalte Musik

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Die letzten Töne des diesjährigen Jazzfestival Willisau sind verklungen, doch visuell ist die Musik immer noch präsent in den LIVE JAZZ PAINTINGS von Werner Meier, die noch bis Donnerstag im Rathaus Willisau zu sehen sind. Werner Meiers gemalte Musik ist ein Hingucker!

1982 hat der Luzerner Künstler Werner Meier damit begonnen, Jazzkonzerte live zu malen. Inzwischen sind über 1000 solche Live Jazz Paintings entstanden, aber so genau weiss es der Zeichner und Maler gar nicht, weil er nie Buch geführt hat. Kennen gelernt habe ich Werner Meier vor gut einem Jahr, als er bei mir im Kreuz Solothurn das hochkarätige Jazztrio Peter Schärli (Trompete), Juarez Moreira (Gitarre), Hans Feigenwinter (Piano) aquarellierte:

Peter Schärli (Trompete), Juarez Moreira (Gitarre), Hans Feigenwinter (Piano) spielen die Musik, die Werner Meier (rechts, vor dem Flügel) malt.

Wer einen Eindruck von der Musik bekommen will, die Werner Meier gemalt hat, hört sich die Tracks 7 bis 9 der Sample-CD auf Peter Schärlis Homepage an oder schaut sich das Youtube-Video aus dem Jazzclub Aarau an:


Schärli – Moreira – Feigenwinter am 6.11.2014 im Jazzclub Aarau

Einladungskarte zu Werner Meiers Ausstellung im Rathaus Willisau

Ausstellung und Buch

Die meisten LIVE JAZZ PAINTINGS, die Werner Meier in Willisau zeigt sind bunt, farbig, energiegeladen. Pirmin Bossart beschreibt in der Luzerner Zeitung vom 23.8.2019 als Klang-Bild-Explosionen in Echtzeit. Der Artikel stellt den Bildband VISUAL MUSIC vor, der gerade noch rechtzeitig zur Ausstellung fertig wurde. Werner Meier hat einen immensen Aufwand betrieben, um seine Live Jazz Paintings zu dokumentieren. Im Buch sind 187 seiner über 1000 live gemalten Bilder versammelt. Dazu gibt es Texte von Peter Fischer, Fred Licht, Niklaus Troxler u.a. sowie ein Künstler-Interview von Pirmin Bossart. Ausserdem eine alphabetische Liste der 1639 gemalten Musikerinnen und Musiker sowie eine Entschuldigung an all diejenigen, die nicht aufgeführt sind.

„Werner Meier malt das Unsichtbare.“
Peter Fischer, Ex-Direktor Kunstmusuem Luzern und Zentrum Paul Klee Bern

Werner Meiers gemalte Musik ist noch bis Donnerstag, 5.9.2019, zu besichtigen. Die Ausstellung LIVE JAZZ PAINTINGS im Rathaus Willisau ist jeweils von 17 bis 20 Uhr offen und der Künstler ist anwesend. Das von Werner Meier konzipierte und wunderschön gestaltete Buch VISUAL MUSIC (263 Seiten, mit 187 farbigen Reproduktionen und etlichen Fotos, ISBN 3-906988-05-X, CHF 48.-) ist in einer Auflage von 500 Exemplaren im Eigenverlag von Werner Meier Luzern erschienen.

Das Cover von VISUAL MUSIC – Werner Meiers gemalte Musik in Buchform

⇒ Homepage von Werner Meier: www.wernermeierluzern.ch
⇒ Email für Buchbestellung: Emailkontakt

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Die falsche Tasse zum Film

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Frau Frogg hat eine lustige Angewohnheit: Sie erinnert sich anhand von Tassen an vergangene Ferien. Als letzthin der Restitutions-Thriller Die Frau in Gold im TV kam, dachte ich mir: „So eine Klimt-Tasse mit der goldenen Adele haben wir doch auch.“ Doch ein Blick in unseren Küchenschrank zeigte: Meine Frau hat die falsche Tasse im Schrank!

Ich hätte nicht gedacht, dass die Filmindustrie mal einen brauchbaren Spielfilm zum Thema Raubkunst und Rückerstattung produzieren würde. Im Zentrum des 2015 als Woman in Gold herausgekommenen Films mit Helen Mirren, Ryan Reynolds und Daniel Brühl in den Hauptrollen steht die Goldene Adele, das Portrait von Adele Bloch-Bauer, das Gustav Klimt 1907 gemalt hatte. Der Wiener Industrielle Ferdinand Bloch-Bauer hatte das Porträt seiner Frau in Auftrag gegeben und bezahlt. Der Fall Republik Österreich v. Altmann landet vor dem Supreme Court der USA und wird schliesslich — entgegen aller Erwartungen — von einem Schiedsgericht in Wien zu Gunsten der Erben entschieden. Nach acht Jahren juristischem Hickhack wurden 2006 insgesamt fünf Klimt-Bilder an Maria Altmann, Nichte von Adele Bloch-Bauer, zurückgegeben.


Trailer zu „Die Frau in Gold“ von Simon Curtis („Woman in Gold“, GB 2015, 109 min.)

Selbstverständlich gab es bei einem von einer wahren Geschichte inspirierten Spielfilm auch Kritik, vor allem bezüglich Faktentreue: „Denn gewiss war es nicht Maria Altmanns Rechtsanwalt und Enkel des Komponisten Arnold Schönberg, der die Causa ins Rollen brachte“, schrieb Olga Kronsteiner im Wiener Standard. „Ein Eindruck, der entsteht, eben weil Faktentreue in bestimmten Sequenzen fehlt. Sie tritt zugunsten des Darstellers in den Hintergrund, der beim Publikum dafür Sympathiepunkte sammeln darf.“ Es war vielmehr der Journalist Hubertus Czernin, der die entscheidenden Dokumente gefunden und die Erben informiert hat. Im Fall Republik Österreich v. Altmann, in dem es nicht nur um die Goldenen Adele, sondern um die Restitution von insgesamt fünf Klimt-Werken ging, spielte Czernin eine entscheidendere Rolle als im Film, während Schönberg tatsächlich weniger wichtig war. Dass Czernins Vater ein Nazi war, wusste Czernin zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, konnte also auch nicht — wie im Film behauptet — der Auslöser für seine Recherchen sein. Im Film verlässt Maria Altmann 1938 ihren kranken Vater, um sich in einer hochdramatischen Last-Minute-Flucht ins Ausland abzusetzen, in Tat und Wahrheit sei sie aber bei ihm geblieben, bis er im Juli 1938 eines natürlichen Todes starb, und sei erst dann mit ihrem Mann geflohen (vgl. Wikipedia).

=>Anyway, wer sich selber ein Bild machen will, kann das tun: Hier ist eine Liste von Streaming-Diensten. Die Frau in Gold ist aber immer wieder im Fernsehen, das nächste Mal am 10. April im Ersten, mit Wiederholungen am 12. und 13.4. in der ARD-Mediathek ONE.

Österreichs Mona Lisa

Adele Bloch-Bauer I. – 1907 gemalt von Gustav Klimt (1862 – 1918) – Quelle: Wikimedia Commons

Gustav Klimts Adele Bloch-Bauer I., die Goldene Adele, entstand 1907 im Auftrag des Zuckerfabrikanten Ferdinand Bloch-Bauer. Als seine Gattin Adele 1925 starb, verblieb das Bild in seinem Besitz. Als Österreich 1938 mit dem „Anschluss“ Teil des Deutschen Reiches wurde, floh Bloch-Bauer über die Tschechoslowakei in die Schweiz. Bloch-Bauers Vermögen*) und die Kunstsammlung wurde von den Nationalsozialisten enteignet auf der Basis eines Steuerverfahrens, das 1938 vom Finanzamt der Wieden in Wien eingeleitet wurde. Der kommissarische Verwalter (treffender wäre wohl Vermögensliquidator) konnte die Klimt-Bilder vorerst nicht veräussern, weil sie nicht dem nationalsozialistischen Kunstgeschmack entsprachen. 1941 dann kaufte sie die Moderne Galerie (jetzt Österreichische Galerie Belvedere), wo sie über sechzig Jahre lang die Prunkstücke der Sammlung waren.

2006 musste sich Österreich von Adele verabschieden. „Ciao Adele“ entpuppte sich allerdings als Kampagne einer Werbefirma. Bild: Manfred Werner auf Wikimedia Commons.

Aufgrund des Österreichischen Bundesgesetzes von 1998 über die Rückgabe von Kunstgegenständen und der im Film dargestellten juristischen Auseinandersetzung restituierte die Österreichische Galerie Belvedere 2006 die fünf Klimt-Bilder an Maria Altmann, die Nichte der Bloch-Bauers. Maria Altmann wiederum verkaufte die Goldene Adele für angeblich 135 Mio. $ an Ronald Lauder mit der Auflage, das Bild müsse öffentlich zugänglich sein. Seither hängt die Goldene Adele in der Neuen Galerie in New York.

Die richtige Tasse

Das wäre die richtige Tasse zum Film „Die Frau in Gold“

Auf der Ferienerinnerungstasse (auf dem Bild oben rechts), die Frau Frogg letztes Jahr auf dem Wiener Naschmarkt erstanden hat, prangt zwar auch eine Ikone Österreichs: das Kaiserpaar Franz Josef I. und Elisabeth. Aber das wäre die richtige Tasse zu einer ganzen Film-Trilogie: Sissi (1955) und die Fortsetzungen Sissi – Die junge Kaiserin (1956) und Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin (1957) mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm gehören immer noch zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Filmen. Frau Frogg ist eben eine heimliche Royalistin. Dabei war der Souvenirladen voll von Klimt-Devotionalien: goldene Bilder, Tassen, Schirme, Fächer etc. — Frau Frogg hätte also genau so gut die passende Tasse zum Restitutionsthriller kaufen können.

Gerne hätte ich hier ein Bild aus dem kurier.at-Artikel Der Fall Adele präsentiert, was aber aus Copyright-Gründen nicht geht: Es zeigt die richtige Maria Altmann (1916 – 2011) mit der richtigen Tasse.

*) Ferdinand Bloch-Bauer und Otto Pick hatten ihre Anteile an der Österreichischen Zuckerindustrie AG (ÖZAG) zur Sicherheit bei einer Zürcher Bank treuhänderisch deponiert. Die Nachrichtenplattform für die AuslandschweizerInnen www.swissinfo.ch schreibt am 14.4.2005 im Artikel Bisher grösste Zahlung an Holocost-Erben: „Es sei vereinbart worden, dass die Bank in keiner Weise mit den Nazis kooperieren oder deren Forderungen nachgeben soll. Nach dem „Anschluss“ habe die Bank, deren Namen nicht bekannt gegeben wurde, dieses Abkommen aber rechtswidrig verletzt. Sie habe die Anteile gegen den Willen der Aktionäre zu einem Bruchteil des Wertes an einen von den Nationalsozialisten ausgewählten Käufer, den deutschen Geschäftsmann Clemens Auer, übereignet, heisst es in der Entscheidung des Claims Resolution Tribunal (CRT).“ Mit 21.9 Millionen Dollar erhielten Maria Altmann und weitere Erben der Familien Ferdinand Bloch-Bauer sowie Otto Pick vom zuständigen New Yorker Bundesrichter Edward Korman die grösste Einzelrestitution aus dem Schweizer Bankenvergleich, der insgesamt 1.25 Milliarden Dollar umfasst, zugesprochen.

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Lee Krasner. Living Colour

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Nicht mehr lange, aber sehr zu empfehlen: Lee Krasner im Zentrum Paul Klee in Bern. Sie lebte von 1908 bis 1984, wusste zeitlebens, was sie wollte, und war davon nicht abzubringen. Freunde, Familie und Weggefährtinnen beschreiben sie als sarkastisch, streitlustig, einmalig, ehrlich und brillant. Als eine der wichtigsten Malerinnen der US-amerikanischen Nachkriegsmoderne war sie weit mehr als die Ehefrau von Jackson Polock.

Self-Portrait, um 1928 (Ausschnitt)

Diese Geschichte ist typisch für Lee Krasner: Als sie 1928 in die Aktklasse der National Academy für Design in Manhattan aufgenommen werden wollte, malte sie im Garten ihres Elternhauses auf Long Island dieses Selbstportrait. Doch die Leute von der Academy, erzählte sie gerne, hätten nur einen Blick auf ihr Gemälde geworfen und dann gemeint: „Da haben Sie einen üblen Trick gespielt — tun Sie nie wieder so, als ob sie im Freien gemalt hätten“. Nach ihrem Protest wurde sie widerwillig zugelassen, war aber mit der traditionellen Lehre der Akademie nicht glücklich und klagte über die „völlig sterile Atmosphäre eines dauerhaft erstarrten Mittelmasses“. (Katalog, S. 51)

Ständige Weiterentwicklung

Lee Krasner war ständig auf der Suche nach einer neuen Bildsprache, deshalb entwickelte sich ihr Werk in Werkgruppen. Hatte sie die Möglichkeiten einer Arbeitsweise einmal ausgelotet, brach sie zu neuen Ufern auf.

Little Images, 1946 – 1950

Collage Paintings, 1953 – 1956

„Wenn ich auf mich selbst zurückgreife, dann
sehe ich es gerne als eine Art Wachsen.“
Lee Krasner

Night Journeys, 1959 – 1960

Primary Series, 1963 – 1969

Palingenesis — Wiedergeburt

Palingenesis, 1971

Typisch Krasner: Anders als viele ZeitgenossInnen entwickelte sie nie einen „signature style“ — eine eindeutig wiedererkennbare künstlerische Handschrift. Diese Vorstellung habe sie als „erstarrt“ und „beunruhigend“ empfunden, steht in der Einleitung des Ausstellungsführers. Stattdessen experimentierte sie unablässig, griff dabei auf ihr eigenes Werk zurück, hinterfragte Bestehendes und entwickelte daraus neue Ausdrucksformen. Eines ihrer Hauptwerke heisst denn auch Palingenesis — und es ist kein Zufall, dass dieses Werk die Ausstellungsplakate ziert.

„Entwicklung, Wachstum und Veränderung
gehen weiter. Wandel ist Leben.“
Lee Krasner, 1972

Lee Krasner. Living Colour — eine inspirierende Ausstellung, die das Œuvre einer brillanten Künstlerin zeigt, die sich durch nichts, aber auch gar nichts von ihrem Weg abbringen liess.

Die Ausstellung im Zentrum Paul Klee in Bern ist noch bis zum 16. August zu sehen. Sie wird kuratiert und organisiert vom Barbican Centre, London, in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt, dem Zentrum Paul Klee, Bern, und dem Guggenheim, Bilbao. Wer sich vorbereiten will, kann sich den Ausstellungsführer als PDF herunterladen oder sich das informative Digitorial der Schirn Kunsthalle Frankfurt anschauen. Toll gemacht ist auch der Ausstellungskatalog, der im Museumsshop erhältlich ist.

Kulturausflügli nach Stans

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Letzte Woche sind wir — eine Kunstfachfrau und ein Kulturflaneur — nach Stans gefahren, um das Kulturprojekt «Wilderwald» des befreundeten Künstlerduos Christine Bänninger und Peti Wiskemann zu besichtigen. Mit viel Zeit und wenig Programm liessen wir uns neugierig treiben und stolperten von unerwarteter Kunst zu überraschender Kultur. Und so wurde aus einem Kulturausflügli ein gehaltvoller Kulturausflug.

Gelandet

«Gelandet» heisst die 2001 entstandene Deckenmalerei des Künstlers Paul Lussi.

Nach einer Schifffahrt von Luzern kreuz und quer über den Vierwaldstättersee nach Stansstad sind wir sozusagen in der Kunst gelandet. «Gelandet» ist denn auch der Titel eines Werks von Paul Lussi auf der Dachuntersicht der Schifflände Stansstad. Die 110 mit Leimfarbe bemalten Kassetten waren eine Entdeckung, die uns faszinierte und an den Bilderhimmel in der Wallfahrtskirche in Hergiswald erinnerte. Entstanden ist diese Kunst am Bau im Rahmen der Ausstellung «Stansstadart 2001», die von der Kulturkommission Stanstad veranstaltet wurde (vgl. visarte zentralschweiz).

Der Wilhelm Busch der Berge

«Stansstad im zwanzigsten Jahrhundert» — visionäre Zeichnung von Pater Emmanuel Wagner (um 1890)

Zwei Häuser weiter stolperten wir in eine kleine, aber feine Ausstellung in der Sust Stansstad. Die Kulturkommission Stansstad gibt noch bis Freitag, 27. August, Einblick in das Werk des Paters Emmanuel Wagner (1853 – 1907). Der Priester und Lehrer an der Stiftsschule Engelberg war vielseitig begabt und betätigte sich auch als Fotograf, Visionär, Zeichner und Kalendermann. „Der Engelberger Mönch Emmanuel Wagner hatte es faustdick hinter den Ohren. Seine visionären Zeichnungen lassen staunen“, schreibt Romano Cuonz in der Luzerner Zeitung. Cuonz bezieht sich in seinem Lead auf obige Zeichnung, die den Nidwaldner Kalender von 1890 zierte und nun raumhoch vergrössert wurde. Sie zeigt einen Zug, der aus einem Tunnel im Lopper auf die Achereggbrücke fährt. Diese Vision wurde erst 1964 Realität. Sehr cool finde ich auch die Frau auf dem Hochrad mit einem Kinderwagen als Veloanhänger.

Der „Wilhelm Busch der Berge“ war nicht nur pfiffiger Zeichner, sondern auch ein ausgezeichneter Fotograf.

Pater Emmanuels humoristischen Zeichnungen hatten etwas von Wilhelm Busch. Der Klostermann war aber auch ein sehr genauer Beobachter, der seine Umgebung fotografisch festhielt. Damals war das Fotografieren mit einem grossen Holzkasten als Fotoapparat, Glasplatten als Bildträger und langen Belichtungszeiten ziemlich aufwändig — umso toller sind Pater Emmanuels Fotos, die wertvolle Zeitdokumente sind.

Seine Unfallfotos sind Kult

Vierzig Jahre lang hielt Odermatt den Nidwaldner Polizeialltag in Fotos fest. Wie schon diese einfache Bildersuche auf Google zeigt, sind seine Bilder mehr als nur Unfallfotos.

Als wir auf dem Stanser Dorfplatz beim Kaffee sitzen, werden neben der Kirche Festbänke aufgebaut. Wir fragen die Bedienung, was das für eine Veranstaltung sei. „Es ist ein Gedenkanlass für den kürzlich verstorbenen Polizeifotografen Arnold Odermatt,“ sagt sie uns. Für alle, die den legendären Polizeifotografen nicht kennen: Der Nidwaldner Arnold Odermatt (1925 – 2021) war Polizist und begeisterter Fotograf. Seine Unfallfotos sind Kult, denn seine Arbeiten wurden 2001 von Harald Szeemann für die 49. Biennale Venedig ausgewählt. 2002 zeigte sie das The Art Institute of Chicago und 2004 das Fotomuseum Winterthur (Wikipedia). Gerne erinnern wir uns an diese schauerlich-schönen Fotos.

Wilder Wald im Weidli

«Wilderwald» ist ein kollektives Kunstprojekt von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung.

Bänninger+Wiskemann, das Zürcher Kunstduo, ist immer wieder auch in der Zentralschweiz aktiv, z.B. mit Kunst auf dem Flugplatz. Ganz in der Nähe des Flugplatz Buochs sorgen die beiden jetzt in der Tagesstätte der Stiftung Weidli in Stans dafür, dass Der wilde Wald im Weidli wuchert und wächst (Luzerner Zeitung vom 27.6.2021). «Wilderwald» ist ein kollektives Kunstprojekt von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, die in der Stiftung Weidli leben und arbeiten: KlientInnen der Stiftung bemalen Vorder- und Rückseite von Altkarton, Christine Bänninger und Peti Wiskemann zerschneiden den bemalten Karton in Streifen, die sie dann zusammenbostichen und neben der grossen Rollstuhlrampe der Tagesstätte an der Decke aufhängen — der wilde und vor allem bunte Wald im Weidli wächst also von oben nach unten.

Der wilde Wald im Stanser Weidli wächst und wuchert neben der Rollstuhlrampe von oben nach unten.

Integration ist das treffendste Stichwort zu diesem faszinierenden Kunstprojekt von Bänninger+Wiskemann: «Wilderwald» integriert nicht nur Menschen, die wegen ihrer Beeinträchtigung vom „normalen“ sozialen Leben ausgeschlossen sind, sondern auch ihre Angehörigen und ihr Umfeld, das zu Besuch kommt und den wuchernden Kartonwald bestaunt. Die positive Medienberichterstattung über das Kunstprojekt sorgt dafür, dass die Stiftung Weidli in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhält, und hilft so, eine unterschätzte, aber unverzichtbare soziale Institution in die Gesellschaft zu integrieren. «Wilderwald» integriert nicht nur über soziale Vernetzung und gesteigerte Akzeptanz, sondern auch als Kunstwerk, das die vier Stockwerke des Gebäudes verbindet: Wie uns der Leiter der Tagesstätte sagte, brauche es zur Überwindung der Höhendifferenzen eigentlich nur einen genügend grossen Lift, aber die „überdimensionierte“ Rollstuhlrampe sei von Anfang an als sozialer Treffpunkt konzipiert worden (breit genug, dass zwei Rollstühle kreuzen können, mit flachen Stellen zum Verweilen) und der wilde Wald steigere die integrative Funktion der Rollstuhlrampe. Die Rollstuhlrampe im Weidli, die schon als Betonskulptur ein halbes Kunstwerk ist, führt wie ein „Baumwipfelpfad“ durch den wilden Kartonwald von Bänninger, Wiskemannn & Co. — kein Chef-d’œuvre im engen Sinn, aber ein grossartiges, kollektives Kunstwerk bezüglich Integration.

Culinarium Alpinum

Das CULINARIUM ALPINUM,
das Stanser Kompetenzzentrum für Kulinarik im Alpenraum, ist auch eine Beiz.

Als ich am Vorabend von unserem Kulturausflügli ein bisschen recherchierte, wo wir allenfalls essen gehen könnten, geisterte das
CULINARIUM ALPINUM im ehemaligen Kapuzinerkloster durch meinen Kopf. Deshalb sind wir zum Abendessen tatsächlich dahin und haben im Klostergarten getafelt und dabei den milden Abend und die Aussicht genossen. Das Restaurant ist Teil des Stanser Kompetenzzentrums für Kulinarik im Alpenraum — wegen Corona hatte es im letzten Herbst keinen einfachen Start, scheint sich aber gut zu entwickeln — bietet abends zur Hauptsache eine Überraschungstavolata mit lokalen und regionalen Produkten an. Das war uns dann doch zu viel, aber die vier Gerichte, die wir aus der reichen Auswahl bestellt haben, waren ausgezeichnet und haben uns überzeugt. Und so wurde aus einem Kulturausflügli ein veritabler Kulturausflug mit einem kulinarischen Highlight als Abschluss.

Später habe ich im Hochparterre 1-2/21 nachgelesen, wie das Culinarium im Kloster (PDF) zustande kam: „Vor gut zwanzig Jahren mussten die Mönche ihr Haus aufgeben. Es begann ein Drama um die Klosterbrache. Der Hauptsitz eines Pharmakonzerns sollte einziehen, Lord Foster die Räume in repräsentativen Glanz verwandeln. Ein zweiter Anlauf der Nidwaldner Regierung scheiterte ebenso. Der dritte hat 2015 mit einem Investorenwettbewerb begonnen. Ein ‹Culinarium Alpinum› sollte es werden, ein Ort, wo die kulinarischen Traditionen der Alpen erforscht, gelehrt, gekocht und verspiesen werden. Das Publikum: Kostgängerinnen und Gutesser, aber auch Köchinnen und Wirte, die hier lernen. Seit letztem Herbst läuft der Betrieb.“ Besser und kürzer als Köbi Gantenbein kann man diese Geschichte nicht zusammenfassen.

Das Programm der Europäischen Tage des Denkmals 2021 und „Baukultur in Nidwalden — Umnutzung und Neuprogrammierung: Das Kapuzinerkloster in Stans“ (Dokumentation der Nidwaldner Fachstelle für Denkmalpflege)

Die Umgestaltung einer abgeschotteten Klosteranlage in ein öffentlich zugängliches Kulinarikzentrum ist kein leichtes Unterfangen, aber, wie das Fallbeispiel Kapuzinerkloster im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals 2021 zeigt, eine Erfolgsgeschichte. Die Idee, aus dem Kloster Stans ein Kompetenzzentrum für die alpine Kulinarik zu machen, ist eine Ko-Produktion der Immobilienentwicklerfirma Senn, die ich von Klimaspuren #9 in St. Gallen kenne, mit dem Ökonomen, Journalisten und Foodscout Dominik Flammer (Public History Food GmbH) und der Immobilienberatungsfirma Wüest Partner. Ob sich auch das Culinarium Alpinum zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt, wird sich erst noch zeigen.

Start a> «Wilderwald» in der Tagesstätte Weidli
auf der Kulturflaneur-Karte

Suzanne Valadon – Powerfrau und Künstlerin in Paris um 1900

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Vor zwei Jahren habe ich in Zürich-Höngg einen Bildvortrag der freien Kunstvermittlerin Marietta Rohner besucht. Sie stellte Leben und Werk der Künstlerin Suzanne Valadon vor, die im Paris der Jahrhundertwende lebte. Das lebendige und reich bebilderte Portrait hat mir derart gut gefallen, dass ich beschlossen habe, Marietta Rohner mit diesem Vortrag nach Luzern einzuladen und zwar am Donnerstag, 25. November 2021, 19.30 Uhr, im Salon Himmelblau.

Ein Bildvortrag von Marietta Rohner

Flyer zum Bildvortrag über Suzanne Valadon

Suzanne Valadon 1885 (Musée de Montmartre)

Suzanne Valadon (1865-1938), uneheliche Tochter einer französischen Näherin, musste früh zum Lebensunterhalt beitragen. Im Künstlerviertel Montmartre wurde sie bald Modell und Geliebte von Renoir, Toulouse-Lautrec und anderen. Mit 18 Jahren wurde sie Mutter. Sie hatte grosses zeichnerisches Talent, das Edgar Degas erkannte und förderte. Valadon schuf ein reiches Werk als Pionierin der realistischen Aktmalerei. Ein unkonventionelles Leben und Werk, wie es nur in Paris möglich war!

Dieser Bildvortrag ist ein Bestseller der freien Kunstvermittlerin Marietta Rohner: Das reich bebilderte Portrait zeichnet das Leben einer Künstlerin nach, die es nicht einfach hatte und dennoch in der männerdominierten Kunstwelt des Pariser Fin-de-Siècle ihren Weg machte. www.mariettarohner.ch

Nach dem Vortrag gemütliches Beisammensein bei Wein, Brot und Käse. Wir freuen uns auf euren Besuch!

Donnerstag, 25. November 2021, 19.30 Uhr
im Salon Himmelblau (siehe Karte)
Freier Eintritt, Kollekte
Zertifikatspflicht!
 
Für Nachfragen: 041 420 27 46 – Email

Salon Himmelblau

Eingebettete Karte - im Vollbildmodus anzeigen

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